Würdigung
Klaus Wagenbach. Ein Nachruf
Am 17. Dezember 2021 ist Klaus Wagenbach im Alter von 91 Jahren in Berlin verstorben. Seinen Verlag – ebenso in Berlin – hat er im Jahr 1964 gegründet; die operative Leitung des Verlags hatte er im Jahr 2002 an seine letzte Frau Susanne Schüssler übergeben und dennoch das Programm des Verlags und seine Verwirklichung immer mit Aufmerksamkeit und Rat aktiv verfolgt.
Während meiner Arbeit in Berlin als Leiter des dortigen Italienischen Kulturinstituts (2011-2015) habe ich Gelegenheit gehabt, Wagenbach persönlich kennenzulernen und ihn während mehrerer Veranstaltungen zu treffen. Zwar betrafen meine Kontakte vor allem den Verlag und seine neuen Veröffentlichungen im Bereich der italienischen Literatur und Kultur, aber, wie schon angedeutet, Klaus Wagenbach war immer in seinem Zimmer im Büro des Verlags anwesend, wie er selbst mit großer Ironie im Epilog seiner Erinnerungen (vgl. Die Freiheit des Verlegers. Erinnerungen, Festreden, Seitenhiebe, Berlin 2010) beschrieb.
Der erste Eindruck bei einem solchen Besuch im Verlag war die freundschaftliche, fast familiäre Stimmung, die dort herrschte. Zwar arbeitete man sehr intensiv, aber es war sehr schwierig, die Wohnung, in dem der Verlag seinen Sitz auch heute hat, als ein typisches Büro zu betrachten. Diese Atmosphäre erreichte ihren Gipfel im kleinen Empfang, den der Verlag jedes Jahr in der Adventszeit gab: keine Förmlichkeit, kein offizieller Charakter, keine Werbung, aber gerade deshalb ein immer sehr reicher Ideenaustausch, an dem der „Nik-klaus“ – so bezeichnete Wagenbach sich selbst – lebendig teilnahm.
In diesen Jahren in Berlin hatte ich mehrere Gelegenheiten, mit dem Wagenbach Verlag zusammenzuarbeiten: das Literaturfestival in September, Buchvorstellungen im Institut oder an anderen Orten, gemeinsam organisierte Veranstaltungen usw. Aber die wichtigsten Momente dieser Zusammenarbeit waren vor allem die große „Pasolini Roma“ Ausstellung im Martin-Gropius-Bau (2014), für die ein besonders reiches Begleitprogramm aufgestellt wurde, und die Fortsetzung – und vor allem die Vollendung (2015) – der umfangreichen deutschen Ausgabe von Vasaris „Le vite de’ più eccellenti pittori, scultori e architettori“ in 46 Bänden.
Es ist sehr schwierig, eine direkte Verbindung zwischen Vasari und Pasolini, zwischen Renaissance und gegenwärtiger italienischen Literatur zu finden. Aber gerade die Fähigkeit, sich zwischen gegensätzlichen Polaritäten mit unbegrenzter Freiheit, aber auch mit großer Kompetenz zu bewegen, hat die Persönlichkeit und die intellektuelle Biographie von Klaus Wagenbach stetig und tief charakterisiert. Er hat im Jahr 1957 mit einer sehr innovativen Arbeit über Kafka promoviert, und Kafka blieb immer das Hauptthema seiner Interessen und Untersuchungen. Er hat sehr ernsthaft und sachlich Kunstgeschichte studiert, und gerade durch diese Studien inspiriert, ist er schon im Jahr 1951 durch Italien mit einem einfachen, aber fast legendären Fahrrad gereist. Er hat die Dichter, Schriftsteller und Literaturkritiker der wichtigen, innovativen Gruppe 47 – und später in Italien die der ‚Gruppo 63‘ – kennengelernt und geschätzt. Er hatte – gerade nach dem Bau der Berliner Mauer – gehofft, in Berlin einen deutsch-deutschen Verlag gründen zu können.
Diese Aufzählung könnte noch lang fortgesetzt werden: Tatsache ist, dass Wagenbachs intellektuelle Biographie ein bedeutendes Zeugnis der gesamten deutschen Kulturgeschichte in der zweiten Hälfte des 20. und am Anfang des 21. Jahrhunderts gewesen ist. Gerade deshalb ist auch sein Beitrag zum deutsch-italienischen Kulturaustausch so wichtig und facettenreich gewesen. Mit seiner typischen Ironie bezeichnete er es in einem Interview aus dem Jahr 2009 in Leipzig als „ein ungeheures Vergnügen“ seines Verlags, „Italien und Deutschland zusammenzubringen, die beiden gegensätzlichsten Völker, die man sich vorstellen kann“. Aber hinter seiner immer erneuerten Entdeckung anderer Aspekte Italiens – in der Literatur, in der Kulturlandschaft, in den gastronomischen Traditionen, in der Politik usw. – gab es vor allem seine tiefe Auffassung von Bildung im Sinne einer nicht geschlossenen, nicht rhetorischen, sondern dynamischen, offenen und experimentellen Bildung. Gerade in einer solchen Idee von Bildung, könnte man hinzufügen, bleibt noch heute der deutsch-italienische Kulturaustausch, wenn auch immer in neuen Formen, ein wesentlicher Bestandteil.